Es ist schon eine lange Tradition: auf einer der ersten Raststätten nach dem Brenner machen wir Pause und lassen das Italien-Feeling in Form eines echten Cappuccino in unser Herz und in unseren Magen. Nur dieses Mal ist es nicht, wie sonst üblich, Sommer, sondern wir haben den 28. Dezember und wir sind unterwegs nach Ostia, wo Lucia und Thomas mit der Motu Nui bereits auf uns warten. Wintersegeln!
Doch das Vergnügen startet erst einmal mit einem Hindernis in der Gestalt einer „Schrankenwärterin“ am Tor des „Porto Turistico di Roma“. Mit Engelszungen versuche ich sie davon zu überzeugen, dass wir nur unser Gepäck vom Auto in die Motu Nui laden wollen, doch obwohl der Hafen fast ausgestorben ist (wir haben schließlich kurz vor Weihnachten), bleibt die Dame uneinsichtig und die Schranke geschlossen. Ich denke an die zwei Kisten Augustiner, die ich für Thomas mitgebracht habe, an unser Schwerwetter-Gepäck und an die ca. tausend Meter von der Schranke bis zum Schiff und entscheide mich dann ebenfalls: Uneinsichtig zu sein. Ich möchte das hier nicht näher ausführen, aber 10 Minuten später rollen wir unser umfangreiches Gepäck die kurze Strecke vom leeren Parkplatz innerhalb des Hafengeländes zur Motu Nui. „Die spinnen, die Römer“.
Doch freundlich und entspannt sollte es für uns gleich weitergehen. Nach einem kurzen Willkommensdrink an Bord, beschlossen wir noch nach Rom zu fahren, schließlich war ich hier noch nie. Und auch wenn der alte Goethe in Neapel den Spruch „Neapel sehen und sterben“ in sein Notizbuch geschrieben hat, ich kann ihn verstehen, denn mir geht es in Rom ganz ähnlich:
Hier pulsiert das Leben, und es ist einfach wunderbar. Am Morgen haben wir das winterlich vernebelte München bei Schneegerieseln verlassen, und nun sitzen wir mit vielen anderen Italienern in einem Straßenrestaurant und lassen uns die Meeresfrüchte zum Weißwein schmecken. Wir haben zwar noch das alte Jahr, aber so darf das Neue ruhig weitergehen.
29.12. Zurück im Porto di Roma, in Oristano direkt an der Tibermündung. Unzählige Yachten stehen den Tiber hinauf an Land, um die Winterstürme gut vertäut zu überstehen, wir aber wollen uns aufs Wasser wagen. Die Wetteraussichten sind ruhig, und wir freunden uns damit an, gleich direkt nach Ischia zu segeln. Es wird ein langer Schlag, wir vermuten, dass es um die 22 Stunden dauern wird, und zur Not hätten wir Ponzo noch auf der Steuerbordseite als Nothafen. Das Gute an dem langen Schlag: Da wir sowieso in der Nacht fahren müssen, können wir auch noch gemütlich zu Mittag speisen, und das römische dolce vita noch ein paar Stunden länger genießen. Im Hafen von Oristano ist dazu wunderbar Gelegenheit, und obwohl wir den 29. Dezember haben, und nur wenige Yachten im Hafen mit Menschen besetzt sind, haben wir auch nicht den Eindruck, dass hier tote Hose vorherrscht. Viele Restaurants buhlen um die Gunst der Gäste, und so laufen wir dann endlich um 16.00 Uhr aus dem Haffen. Nicht um nach zehn Minuten gleich wieder zurückzukehren, weil ich Döspaddel mein Handy im Auto vergessen habe. Zieeeemlich peinlich, und Lucia verspreche ich für den Sprint vom Anleger zum Auto und zurück, dass ich in den kommenden 10 Tagen alle gebrauchten Bratpfannen ganz freiwillig abspülen werde …
Wieder auf See wird es schnell dunkel. Ich bin ein wenig aufgeregt, weil dies endlich meine erste Nachtfahrt ist. Wie gut, dass ich neulich im Seerechtsseminar noch einmal die Lichterführung durchgekaut habe, eigentlich kann nichts schiefgehen, eigentlich. Die Kinder genießen das Abenteuer in die Nacht zu steuern, allerdings ist das Motorgeräusch in der Kabine einem gesunden Schlaf nicht wirklich zuträglich, so werden dank des ruhigen Wetters Matratzen und Schlafsäcke an Deck geholt. Und im Cockpit kann man auch schließlich viel besser die Daddelkiste teilen …
Wir haben keinen festen Wachplan vereinbart, ich schaue erst einmal, wie lange ich es gut am Steuer aushalte. Langsam sind wir auch im Dezember angekommen, obwohl die Wassertemperatur noch knapp 17 Grad beträgt, habe ich über meine lange Unterhose eine Thermohose und dann noch die wind- und wasserdichte Regenhose übergezogen. Auch die gefütterten und gummierten Arbeiterhandschuhe aus dem Baumarkt habe ich über die Finger gestreift. Eigentlich waren sie für nasse und scharfkantige Muringleinen gedacht, aber auch jetzt beim Steuern, bringen sie mich nicht zum Schwitzen. Und auch die vereinzelten Seiten- und Toplichter, die in der Kim auftauchen, tun das nicht. Ich werfe noch nicht einmal einen müden Blick auf die Winzige AIS Anzeige auf der Funke, es ist wirklich klasse, was man aus ein paar winzigen Leuchtpunkten alles schließen kann. Seerecht war doch nicht so schlecht. Irgendwann nach Eins kommt Thomas hoch, und ich ergreife die Möglichkeit mich doch ein wenig in der Koje aufzuwärmen. Die Nacht jetzt im Dezember dauert schließlich noch ein Weilchen. Und tatsächlich, nachdem Thomas die Hundewache gut überstanden hat, und ich nach geraumer Weile wieder an Deck erscheine, ist es immer noch stockdunkel. Das Lichterband der italienischen Küste an Backbord, die schlafenden und in warme Schlafsäcke gehüllten Kinder im Cockpit steuere ich dem fahlen Schimmer entgegen, der die Stelle markiert, an der hoffentlich bald die Sonne aufgeht. Für meine Verhältnisse dürfte es nun doch wenigstens ein paar Grad wärmer sein.
Und dann taucht sie auf. Zunächst kaum erkennbar, wie eine kleine unscheinbare Wolke in der Kim. Sie hebt sich, langsam größer werdend, immer deutlicher vom fahlen Orange der aufgehenden Sonne ab. Schön, wenn man plötzlich sein Ziel wirklich vor Augen hat. Doch wenn einem das Segeln etwas lernen kann, dann ist das zweifellos die Geduld. Obwohl unser Ziel gleich da vorne, im hellen Band des Sonnenlichts, zwischen den dunkelgrauen Flächen des wolkigen Himmels und des bleiernen Meeres schwebt, zeigt ein Blick auf das Navi, dass wir noch immer sechs Stunden lang dorthin unterwegs sein werden. Also alles wie gehabt. Ein gehöriger Ausguck schafft die Sicherheit, dass wir zumindest für die nächsten 15 Minuten ungestört und ohne Ausweichmanöver unsere Bahn ziehen können. Anton, der Autopilot, steuert zuverlässig auf das Ziel. Ich stecke den Kopf noch tiefer in die Kapuze, vergrabe meine Hände unter den Achseln und versuche es mir auf dem Kissen im Cockpit so weit es geht gemütlich zu machen. Bloß nicht die Augen zu lange schließen. Wenn wenigstens ein paar Schiffe auftauchen würden, die zum Ausweichen zwängen. Dann hätte man etwas zu tun, müsste handeln. So besteht die einzige Anstrengung darin, bloß nicht einzuschlafen. Alle 15 Minuten Rundumblick, sich eine umfassende Übersicht über die Lage der Yacht verschaffen. Und dann wieder eine viertel Stunde gegen den Schlaf kämpfen. Zum Glück rettet mich Thomas aus meinem Kampf. Er konnte einigermaßen schlafen in den letzten paar Stunden, und genau das werde ich jetzt auch tun.
„Thomaaaas, wir müssen die Fender raushängen, wir sind gleich da…“ Thomas Ruf weckt mich aus dem Tiefschlaf, habe ich tatsächlich die letzten fünf Stunden verschlafen? Etwas unsicher auf den Beinen wanke ich an Deck, und sehe die massiven Wellenbrecher der Hafeneinfahrt von Ischia an Steuerbord. Jetzt aber schnell die Fender raus, und schon fahren wir durch den schmalen Durchbruch aus dem 19. Jahrhundert, der aus dem (durch ein Erdbeben entstandenen) Lago del Bagno ein Hafenbecken gemacht hat. Im Sommer ist es bisweilen unmöglich, hier einen freien Anlegeplatz zu finden, doch das scheint Ende Dezember kein Problem zu sein. Eine ausfahrende Fähre drängelt mich nach Backbord, und dort winkt auch schon der angefunkte Marinero. Etwas unsicher lege ich rückwärts an, Motu Nui und ich müssen uns erst wieder aneinander gewöhnen. Direkt am Ende des Anlegersteges befindet sich ein Restaurant, und wie es aus der Ferne scheint, haben die am 30. Dezember um 16:00 Uhr tatsächlich noch etwas zu Essen. Ich bilde mit den Kindern die Vorhut, während Thomas die Motu Nui noch Hafenklar macht, bestellen wir für Ihn schon mal das erste Bier. Pietro, der Wirt vom L’altra Mezanotte wird uns in den nächsten Tagen quasi adoptieren. Immer wenn wir vom und zum Boot gehen, kommen wir direkt an seinem Restaurant vorbei, und selten können wir widerstehen. Seine warmherzige Art und das wirklich erstklassige Essen werden wir ganz bestimmt nicht vergessen. Danke Pietro.
Doch nicht nur Pietro zieht uns in seinen Bann. Die gesamte Insel mit ihrer gelassenen Geschäftigkeit fasziniert uns von Stunde zu Stunde mehr. Immerhin haben wir den 30. Dezember und es ist mittlerweile nach 20:00 Uhr. Wir schlendern durch die Gassen der Altstadt, und können kaum glauben, dass hier all diese Menschen immer noch auf den Straßen sind, die Straßenkaffees bevölkern, und auf den Weihnachtsmarkt schlendern. Wir haben das Gefühl, die einzigen Touristen unter vielen Einheimischen zu sein und lassen uns treiben.
Pietro weiß, wo wir Motorroller leihen können, wir wollen an Silvester vor dem Feiern die Insel erkunden.
… Manchmal ist es ja auch wichtiger, einfach nur zu feiern … Ausschlafen an Neujahr, den Nachmittag verbringen wir entspannt damit, dass wir uns in Ischias Strassen herumtreiben. Je länger wir hier bleiben, desto mehr gefällt uns die Insel. Wir vermuten aber auch, dass wir imm Sommer lieber nicht hier wären. Der Plan, die touristenlose Zeit der Einheimischen zu nutzen, und auch noch Capri zu besuchen wächst an diesem Nachmittag. Der Hafenführer warnt zwar vor exorbitant honen Preisen, und vor unfreundlichen Menschen, bezieht dies aber insbesondere auf die Hauptsaison. Vielleicht haben wir anfang Januar mehr Glück. Also beschließen wir Morgen gleich nach dem Frühstück aufzubrechen, die 20 Seemeilen durch den Golf von Neapel sind ja mittlerweile fast ein Klecks für uns.
Das mit dem Frühstück ist im Urlaub ja immer so eine Sache. Lucia zirkelt die Motu Nui vorbildlich aus dem Hafen, und kurze Zeit spätert lassen wir das Castello Aragones an Steuerbord vorbeiziehen. Es ist gerade Mittag, als wir uns durch die Schutzzonen im Kanal von Ischia schlängeln. Bestes Segelwetter mit blauem Himmel lässt uns bald die Segel richtung Capri sezten. Ein paar Stunden später schaffen wir es mit dem letzten Licht, die Hafeneinfahrt von Capri zu passieren, und wir sind wirklich gespann. Wer sollte recht behalten, der Hafenführer mit seinen Warnungen, oder unsere gute Erfahrung aus der Nebensaison in Ischia?
Zunächst wendet sich das Blatt ganz klar auf die positive Seite. Der Marinero, der uns am Kai empfängt ist wirklich außerordentlich hilfsbereit und freundlich, so etwas haben wir in vielen Jahren nicht mehr erlebt. Er hilft sogar von außen, die Fender auf der richtigen Höhe zu fixieren, und sprintet zum Hafenbüro, damit wir kurz vor Schluss noch die elektronische Karte für den Strom erhalten. Die 120 Euro Hafengebühren (incl. Strom) sind zwar nicht von Pappe, aber im Vergleich mit den 300 Euro pro Nacht (excl. Storm) in der Saison, geradezu ein Schnäppchen. Auch hier im Büro nur freundliche Mitarbeiter, man könnte sagen dass man das bei dem Preis auch erwarten kann, aber wir haben es oft auch schon anders erlebt. Bestens gelaunt begeben wir uns auf die Erkundungstour. Viele Italiener sind mit einer der späten Fähren Richtung Neapel abgereist, und so sind wir die einzigen Passagiere in der Kleinen Standseilbahn vom Hafen in die etwa 100 Meter höher gelegene Altstadt. Als wir oben aussteigen, haben wir kurz das Gefühl, in der Münchner Maximilianstraße angekommen zu sein. All die Luxusmarken auf die wir so gut verzichten können haben hier eine Dependance, willkommen im Plastik-Wunder-Disneyland. Bestimmt ist hier im Sommer viel los, aber im Gegensatz zu Ischia sind bei unserem Besuch die Straßen leer. Keine Einheimischen in den Straßenkaffees und jede Menge Luxusläden, in denen die Blicke der Mitarbeiter genauso leer sind, wie die Läden selbst. Wir folgen den wirklich Zahlreichen Hinweisschildern um unseren Hunger zu stillen, doch diese scheinen nur für den Sommer zu gelten. Am Ende fragen wir einen der wenigen Passanten, ob wir hier irgendwo etwas zu Essen bekämen, und er hat tatsächlich 2 Alternativen für uns. Wohlgemerkt, auf der ganzen Insel. Nachdem wir ganz gut gegessen haben, machen wir uns auf den Weg, hinab in den Hafen. Und tatsächlich fährt uns noch ein Bus die ca. 2 Kilometer lange Strecke, wir meckern nicht über die 3 Euro pro Person für ca. 2 Kilometer.
Am nächsten Tag wollen wir eigentlich auch Capri mit dem Motorroller erkunden. Beim morgendlichen Gang zum Bäcker, komme ich an einem Roller-Verleih vorbei. In Ischia haben wir 25 Euro pro Roller für den Tag bezahlt, In Capri will man 70 Euro für einen vergleichbaren Roller für 4 Stunden. Noch beim Frühstück beschließen wir, wieder zurückzufahren.
Der Unterschied zwischen den beiden Inseln fällt uns jetzt natürlich noch mehr auf. Am Stegende gibt es ein großes Hallo, und wo wir zu Abend essen, ist ohnehin klar, wir haben uns in Capri schon nach dem L’altra Mezanotte gesehnt. Pietro schafft es bei unserem letzten Abendessen dann auch noch herauszufinden, dass wir 2 Geburtstagskinder dabeihaben, und zaubert vor dem Bezahlen ein kleines Törtchen mit Geburtstagskerze für Talai aus seiner Küche. Schweren Herzens verabschieden wir uns von Pietro und machen uns für eine weiter Nacht auf See zurecht.
Die Wettervorehesage kündigt uns in der zweiten Nachthälfte Segelwind an, und beim Verlassen des Hafens haben wir deutlichen Schwell. Mein Magen verträgt dies leider gar nicht gut, und so wandert Pietros feines Essen wieder zurück ins Meer. Am Ruder oder mit geschlossenen Augen in der Koje geht es mir ganz gut, aber die 30 Sekunden die dazwischen liegen, lassen mich bei jedem Wachwechsel die Fische füttern. Thomas hat ein Einsehen mit meinem Zustand und übernimmt den Großteil der Wache in dieser Nacht. Besser wird es erst, als ich in Ostia wieder festen Boden unter den Füßen habe. Ein Brecher in der Hafeneinfahrt hätte uns fast noch quer schlagen lassen, zum Glück hat Thomas schnell genug reagiert um nicht auf dem seitlichen Wellenbrecher zu landen. Uff.
Ein letzter Abend in Rom beendet dies wunderbare Reise, Thomas bleibt noch ein paar Tage um die Motu Nui Winterfest zu machen, ich fahre mit den Kinder am Morgen Richtung München. Am Brenner haben wir dichtes Schneetreiben, was für eine Welt…
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