Mit der Motu Nui in Sardinien

Von: 

16.09.2023

 Bis: 

23.09.2023

Revier: 

Sardinien-W / Straße v. Bonifacio

Starthafen: 

Oristano

Yacht: 

Motu Nui

 Typ: 

Jeanneau Sun Od. 45

Skipper: 

Thomas

Crew: 

Thomas

Gesegelte Distanz: 

182

  Seemeilen


Die untergehende Sonne im verspäteten Flieger

Samstag, 16.9.
Einer nach dem Anderen der 5 Segler, die mir gegenüber sitzen, zieht ein Streichholz aus der zur Faust geballten Hand des Skippers. Man spricht Wiener Dialekt, und es geht offensichtlich um die Kabinenaufteilung des Charterbootes, auf dem sie zu dieser Stunde eigentlich schon längst ihr Gepäck verstauen wollten. Aber der Flieger hat Verspätung, und die insgesamt 3 Essensgutscheine, die die Lufthansa nacheinander spendiert, werden von den Österreichern ausschließlich in Bier umgetauscht. Und so beobachte ich fasziniert das Schauspiel, das mich unmittelbar in die Romane Karl Vettermanns versetzt. Der Romanheld Barawitzka scheint auch von München aus zum Segeln zu starten …
Der Start zu diesem Herbsttörn steht nicht unter einem eindeutig guten Stern, und so versuche ich Thomas, der vor Torregrande an der Westküste Sardiniens vor Anker liegt, über mein verspätetes Eintreffen zu informieren. Den letzten Zug kann ich nicht mehr erreichen, und so muss er wohl oder übel weitere 15 Stunden bei Wind und Welle ausharren. Ich sitze währenddessen immer noch in München und versuche zunehmend verzweifelt ein preiswertes Hotel in Olbia zu finden.

Da dies ja ein Segelblog ist, überspringe ich die nächsten 12 Stunden, sage nichts über die finstere Absteige, die ich bei Booking.com gefunden habe, und sitze nun ohne Frühstück und mit knurrendem Magen im Zug nach Oristano. Der Triebwagen der Diesellok ist bestimmt aus dem letzten Jahrhundert, der Bahnhof in Olbia wohl aus dem vorletzten, und seitdem wurde offensichtlich an beiden nichts mehr verändert. Aber der Zug startete auf die Sekunde genau, und auch während der nächsten zweieinhalb Stunden änderte sich nichts an der Pünktlichkeit. Der Schaffner findet Zeit für ein gemütliches Pläuschchen mit fast jedem der zahlreichen Passagiere, und für die ca. 170 Kilometer lange Fahrt habe ich 12,500 Euro bezahlt. Vielleicht sollte sich die Verantwortlichen der Deutsche Bahn hier einmal ein paar Tage „Informationsurlaub“ gönnen.

Endlich los: Von Torregrande in die Bucht Calla su Pallosu, Abendsonne.

Sonntag, 17.9.
Meine Laune hat sich nach dieser Zugfahrt eindeutig gebessert, obgleich mein Magen immer noch vernehmbar knurrt. In Oristano angekommen, zieht es mich daher direkt in das kleine Bahnhofskaffee, erstmal einen Cappuccino und ein Cornetto. Und dann Handy raus, und ein Taxi für die letzten 10 Kilometer nach Torregrande organisieren. Google findet 846.000 Einträge für „Taxi Oristano“ und so fange ich mit dem Telefonieren an: Taxi Oristano Simone, Radio Taxi Oristano, Taxi Oristano, 24h Taxi Oristano … Es ist Sonntagmittag, es hat vor dem Bahnhof ca. 35 Grad im Schatten und in Oristano fährt man an einem Sonntag um diese Zeit ganz gewiss nicht mit dem Taxi. Die Barfrau, die seit einiger Zeit meine Telefonversuche beobachtet, fragt mich mitleidig, wohin ich den wolle: „Madre mia, da kommen Sie heute nicht mehr hin“… Schließlich erbarmt sich ein sonntäglicher Espressotrinker aus der Bar, und fährt mich die 10 Kilometer mit seinem Auto an den Strand. Wenn du denkst, es geht nichts mehr, kommt irgendwo ein Engel her …
Ein Anruf bei Thomas, und schon steuert das Dinghi auf den Badestrand zu, wir verladen meinen Seesack und sind 10 Minuten später an Bord. Uff, geschafft, das Segeln kann beginnen.

Wir wollen sehen, wie weit wir kommen, endlich nicht mehr abhängig von anderen Transportmitteln. Es ist herrlich in die Abendsonne hineinzusegeln, und Thomas, der die letzten zwei Wochen auf der Motu Nui alleine unterwegs war, genießt die zusätzlichen Hände an Bord. Es ist schon lange dunkel, als wir auf der Satellitenkarte einen sandigen Untergrund suchen, über dem wir in der Bucht von Pallosu unseren Anker fallen lassen können. Und tatsächlich hält der Anker beim ersten Versuch, auch nachdem wir ihn zur Sicherheit mit 2000 Umdrehungen eingegraben haben. Sonst brauche ich oft mehr Versuche, aber es scheint sich jetzt alles zum Guten zu wenden. Erst am nächsten Morgen dreht sich der Wind um 180 Grad, wird auflandig, und ohne es vorher abgesprochen zu haben, treffen wir uns an Deck und graben den Anker neu ein. Das verschafft uns noch ein paar Stündchen ruhigen Schlaf, bei auffrischendem Wind.

Montag, 18.9.
Nach dem Frühstück springe ich erst einmal ins 24 Grad warme Wasser, und begutachte den Bewuchs an Ruder und Rumpf. Der Algenbelag ist immerhin so dicht, dass ich die von Thomas befürchteten Muscheln erst gar nicht ausmachen kann. Aber neben der Rumpfinspektion hat so ein morgendliches Bad ja auch seine entspannende Komponente, und so segeln wir voller Elan unserem nächsten Ziel entgegen. Alghero steht auf Thomas‘ Favoriten-Liste ganz oben. Zu Recht, wie wir am Abend herausgefunden haben. Ein sehr freundliche Marinero bugsiert uns zum Liegeplatz, wo wir gleich von Volker, einem Dauerlieger aus Bremen herzlich empfangen werden. Die Stadt ist auch ohne Touristen lebendig, und wir haben keine Mühe, ein nettes Lokal aus dem vielen Möglichen zu wählen. Allerdings ist der Rückmarsch zum Steg mit einer dreiviertel Umrundung des ausgedehnten Hafens verbunden, und so nehmen wir eine kräftige Stärkung zu uns.

Italienische Lebenslust

Auf dem Rückweg lassen wir uns von flanierenden Sarden durch die Gassen treiben und entdecken ein magisch entspanntes Alghero. Familien mit Kindern schlendern noch weit nach Sonnenuntergang durch die Altstadt, und einer ruhigen Ecke der Stadtmauer wird spontan zu Live-Musik getanzt. Italien wie aus dem Bilderbuch. Bevor wir glücklich und müde ins Bett fallen, hört Thomas noch ein Knistern und Quaddeln im Wasser, und leuchtet mit der Taschenlampe beunruhigt den Rumpf entlang. Eine Heerschar von kleinen Fischen macht sich an die Arbeit, das neu angekommene Schiff von den Algen zu befreien. „Bio-Antifouling“.

Dienstag, 19.9.
Wir wollen hier noch nicht weg. Der Abend und das Essen gestern waren zu schön, und wir wollen ja dem Unterwasserschiff noch ein bisschen Reinigung gönnen. Und so schieben wir die ein- oder andere Erledigung vor, um noch einen Tag zu bleiben: Lebensmittel müssen gekauft werden, und für den losen Unterlieckstrecker brauchen wir dringend ein paar dickere Nieten. Nach getaner Arbeit bleibt noch Zeit für einen nachmittäglichen Rundgang durch die Gassen, abends speisen wir auf einer Dachterrasse hoch über der Stadtmauer mit Blick auf die riesige Marina.

Leben in Alghero

Mittwoch, 20.9
Den Lottertag gestern bezahlten wir heute mit einem schrillen Weckton um 6:00 Uhr. Es ist noch dunkel draußen, und etwas hastig schlürfe ich meinen Kaffee und mümmle mein Müsli. Das letzte Mal, als ich mit leerem Magen losgesegelt bin, war kein guter Tag, ich erinnere mich nicht gerne daran. Damit ich am Samstag meinen Flieger erwische, müssen wir heute Strecke machen. Für die Fahrt aus der Bucht können wir den Nordwind noch unter Segeln nutzen, doch als wir den Leuchtturm beim Cappo Caccia umrunden, weht er uns genau auf die Nase. Da Stintino noch fast 60 Seemeilen entfernt ist, starten wir schweren Herzens den Motor, der uns nach einer Weile in den Ohren dröhnt. Und so hängen wir eine ganze Weile unseren Gedanken nach und lassen Anton (den Autopiloten) die arbeiten machen.

Cappo Caccia

Securité, Securité, Securité. Das Funkgerät meldet eine Sturmwarnung für diesen Nachmittag, ausgerechnet wenn wir durch die enge und flache Passage von Fornelli schlüpfen wollen. Die Wassertiefe dort beträgt stellenweise nur 4 Meter, bei starkem Wind und Welle kann dies ein Problem werden. Der Wind frischt auf, und unsere Stimmung wird am Nachmittag etwas angespannt. Im Notfall müssen wir eben um Asinara herum, 20 sm zusätzlich, das wird spät. Doch wir scheinen Glück zu haben. Bei der Einfahrt in die Passage zeigt der Windmesser zwar 20 Knoten, aber die Welle hält sich in Grenzen, wir wollen es versuchen. Mit sturem Blick halte ich die beiden Richtfeuer in Peilung, jetzt nur nicht vom Kurs abkommen. Anton schalte ich lieber aus, manches kann ich doch besser als er. Im Zentrum der Passage müssen wir unseren Kurs nach Steuerbord ändern, das neue Richtfeuer befinden sich nun achtern, und nach einer Weile habe ich auch hier die Ideallinie wieder gefunden. Am Abend laufen wir in den Hafen von Stintino ein.

...nie mit leerem Magen…

Als wir uns nach der langen Fahrt mit wackeligen Beinen auf den Weg zur nächsten Kneipe machen, wissen wir auch, warum der Liegeplatz im äußeren Hafenbecken so viel billiger ist, als der fjordartige Stadthafen. Es sind 2 Kilometer bis in die Stadt. Zunächst kämpfen wir uns durch macchiaartiges Gestrüpp die Treppe hoch. Dann auf der Hauptstraße bergauf und bergab, bis wir den Stadthafen in seiner imposanten Länge ausgemessen haben. Schließlich biegen wir auf der anderen Seite in die Gegenrichtung ab, bis uns der Geruch von frisch gegrilltem Fisch über die letzten Meter hilft.

Donnerstag, 21.9.
Die Sturmwarnung wird auch für heute stündlich aktualisiert, und weil wir noch einmal Strecke machen müssen, sieht uns die aufgehende Sonne schon weit im Golf von Asinara. Der angesagte Sturm scheint woanders stattzufinden, bei Windstille motoren wir unserem Ziel Santa Teresa die Gallura entgegen. Zur Mittagszeit wird es richtig warm, und ich springe zur Erfrischung ins herrlich blaue und klare Wasser. Tatsächlich haben die Fische in Alghero ganze Arbeit geleistet, der Seetang am Unterwasserschiff ist komplett abgegrast, leider haben sie die Muscheln nicht auch gleich gefressen.

In der Marina von Santa Teresa
Der Radarreflektor hatt sich gelöst

Als ich die Motu Nui in der Marina von Santa Teresa anmelde, zeigt die sehr herzliche Marinera die Bootspapiere ihrer 8-jährigen Tochter. „Kennst du den Schiffsnamen?“ „Ja, die große Insel, den Film Vaiana haben wir doch erst gesehen!“ Und weil die Leute hier in der Marina wirklich sehr freundlich sind, gibt es obendrein auch noch einen Dinghi-Shuttelservice zurück zum Schiff. Hier kommen wir gerne wieder.

Freitag, 22.9.
Der Törn nähert sich zumindest für mich leider schon wieder dem Ende. Wir wollen heute nur nach La Maddalena, keine 20 Seemeilen, also linke Arschbacke. Wäre da nicht erneut die Sturmwarnung im Funk, die schließlich am dritten Tag auch bei uns bemerkbar ist. Kaum aus der Hafenbucht heraus setzen wir bei 20 Knoten Wind lieber erstmal nur das Vorsegel. Man weiß ja nie, was kommt. Die Straße von Bonifacio ist ja manchmal recht windig … Bei 25 Knoten reffen wir das Vorsegel zum ersten Mal, bei 30 Knoten erneut, und je näher wir unserem Ziel kommen, desto mehr frischt es auf. Der Windmesser, der vorher nur in kurzen Böen auf die 35 Knoten Windgeschwindigkeit aufmerksam gemacht hat, hält nun an dieser Marke fest, und wir haben das Vorsegel bis auf Handtuchgröße eingezogen. 5.5 Knoten Fahrt machen wir trotzdem. Ich denke, dass sich Sardinien am Ende noch mit „richtigem Segelwetter“ von mir verabschieden will, und sehe Stirnfalten auf Thomas Gesicht, der den Hafen von La Maddalena bereits kennt. Gegen Westwind ist dieser recht wenig geschützt. Wir haben Westwind, und das ordentlich. Also lassen wir die Marina La Maddalena an Backbord liegen und biegen in die windgeschütztere Bucht von Sciulara ab, wo wir bei erträglichen Verhältnissen vor Anker gehen und den stürmischen Wind ab wettern. Erstmal Chili con Carne, und dann ein Nachmittagsschläfchen, auf unsere Ankerkünste vertrauen wir mittlerweile auch bei Windstärke 8. Und am Abend werden wir für unsere Entscheidung belohnt, der stürmische Wind ist durch und wir tuckern gemütlich in die wunderbare Marina von La Maddalena ein, wo wir direkt an der Kaimauer gegenüber dem Kaffee Noir festmachen.

La Maddalena

Samstag, 23.9.
Die Zeit ist natürlich wieder mal viel zu schnell vergangen, ich könnte noch wochenlang so weitersegeln. Ein bisschen beneide ich Thomas, der ohne mich noch nach Elba will. Doch es hilft nichts, die Pflicht ruft in Deutschland, und eine Woche ist schließlich besser als gar keine. Thomas zeigt mir noch das wirklich reizende La Maddalena, ich kann verstehen, dass das einer seiner Lieblingsorte ist. Und dann geht es für mich schon auf die Fähre nach Palau, in den Bus nach Olbia und mit dem Flugzeug zurück nach Deutschland. Als ich in der U-Bahn nach Hause sitze, schickt mir Thomas eine Nachricht, dass in San Maddalena gerade ein kleines Hafenkonzert für die Segler stattfindet. Ich wäre gerne bei ihm …


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