Kathrin: Es regnet. Aber das kann ja noch besser werden, wir sind ja gerade erst im Süden Deutschlands aufgebrochen zu unserem Segelabenteuer in Kroatien. Vor uns liegen 600 Kilometer Fahrt durch vier Länder. Da wird ja wohl am Ende die Sonne scheinen. Ich nutze die Zeit, um an meinem Schnürsenkel den Palstek zu üben und zwar so, dass es Skipper Thomas, der das Auto lenkt, nicht sieht. Er soll ja Vertrauen in seine Crew haben. Ob ich leise Alfons neben mir fragen soll, wie das mit dem Anbringen der Landleinen nochmal ging? Ich lasse es sein – nicht ahnend, dass wir auf dieser Reise sowieso nicht eine einzige Landleine anbringen werden. Dafür wird aber jede Menge anderes passieren!
Es ist mein zweites Mal auf einem Segelschiff und ich bin optimistisch, dass ich nichts von dem vergessen habe, was ich im Vorjahr beim Törn in Griechenland gelernt habe. Die Hoffnung zerschlägt sich, als wir nach einem schwungvollen Einpack-Vormittag an unserem ersten Segeltag fröhlich aus der Marina dieseln und Thomas spontan die Segel setzen will. Warum zum Henker geht das Großsegel nicht raus? Und was ist das eigentlich für ein silbernes Ding da am Großmast? Aber zum Glück besteht die Crew neben mir aus fünf weiteren bis in die Haarspitzen motivierten Mitreisenden (es gibt sogar jeden Tag Gerangel um die Frage, wer das Geschirr abspülen DARF) und so kann ich gemütlich von der Cockpitbank aus zusehen, wie die anderen herausfinden, wie man auf diesem Schiff das Großsegel setzt, wie man es wieder einholt, weil es dämliche Falten bildet, und natürlich wie man den Skipper zum Wahnsinn treibt, weil man vergessen hat, was der Unterschied zwischen dicht holen und fieren ist). So macht Segeln Spaß! Noch mehr Spaß macht es, als Groß- und Vorsegel gesetzt sind, Thomas den Motor ausmacht und wir mit zehn Knoten dahin rauschen, dass die Gischt nur so fliegt. Jetzt will ich aber echt auch mal an einer Winsch kurbeln und schmeiße mich ins Getümmel. Leider müssen wir die Segel viel zu bald wieder einholen und in eine Bucht abbiegen – in die Hochzeitsbucht. Während Skipper Thomas mit Miry ins Dingi steigt, die feinen Klamotten im wasserdichten Rucksack, um sich im Hotelklo am Ufer dann in Schale zu werfen (nach einigen erstaunten Blicken der Rezeptionisten auf die zwei Hochzeitsgäste in Badesachen), bleibt die restliche Crew allein auf der Tortola zurück. Aber wer braucht schon Kaviar vom Hochzeitsbuffet, wenn man einen Gasherd (wenn auch leider keinen Anzünder …), einen vollen Kühlschrank und einen Koch an Bord hat! Wir tafeln fürstlich (auch unser Gast Herr Möv bekommt am Ende noch was ab, dank Uschi) und kommen spät am Abend auch noch in den Genuss des Hochzeitsfeuerwerks hoch über dem Hotel am Ufer. Kein schlechter Start in einen Törn!
Delfine! Ein ganzes Stück entfernt von der wegen Flaute monoton dahin dieselnden Tortola gleiten die grauen Schwimmkünstler durchs Meer. Und kurz darauf trudelt direkt unter dem Bug auch noch eine Meeresschildkröte vorbei. Aber bevor echte Entspannung aufkommen kann, beschließt Skipper Thomas, dass es jetzt Zeit ist, Boje über Bord-Manöver zu üben. Der gelbe Panikfender fliegt über die Reling und wir versuchen nach einander alle, ihn erstens überhaupt wieder einzusammeln und zweitens schnell genug, um Thomas’ Laune nicht zu verderben. Nach einer halben Stunde wilder Manöver nehmen wir wieder unseren eigentlich Kurs auf und Thomas sieht aus, als würde er sich nicht mehr ALLZU große Sorgen machen, sollte er in den nächsten Tagen über Bord gehen. Sich am Seil hinter dem Schiff durchs Meer ziehen lassen wie Uschi will er dann aber doch lieber nicht.
Komisch. Am Nachmittag erreichen wir eine Bucht, die auch noch keiner der Kroatien-erfahrenen Mitsegler kennt. Fischerhütten säumen den Strand, kleine Fischerboote schaukeln auf dem Wasser. Wir ankern – und es klappt auf Anhieb (abgesehen davon, dass auf der Ankerkette nur eine Markierung zu erkennen ist und die kann unmöglich wirklich 20 Meter anzeigen, denn kurz darauf ist die ganze 45-Meter-Kette ausgerauscht, die sich beim Einholen heillos verheddert, nicht mehr vor- und zurückgeht und von Alfons und Gerd mit schierer Muskelkraft irgendwie sortiert werden muss – aber dafür kann die Crew ja nichts!) Nach dem Manöverbier und dem obligatorischen Schwimmen, lockt das Land. Immerhin waren wir (außer den Hochzeitern) seit zwei Tagen nicht mehr an Land! Mit dem Dingi geht es über die Bucht und dann auf die Suche nach der laut Hafenhandbuch nur 200 Meter entfernten „Farm“. Nach einer etwas abenteuerlichen Wegsuche (mit nur minimaler Meuterei einiger Crewmitglieder) entdecken unsere vom Seewind geröteten Augen tatsächlich eine Taverne – und wir belagern einen Tisch mitten in einem Olivenhain. Es wird ein wunderschöner Abend mit fangfrischem Fisch, Fleisch vom Nachbarbauernhof („Von Slavo heute morgen zu Hackfleisch gemacht“), einem unterhaltsamen Kellner namens Giorgio und viel Gelächter. Gut, dass ich den Namen der Bucht nicht kenne – so kann ich ihn auch niemandem verraten und hoffen, dass sie so urig und wunderbar bleibt!
Nächster Tag, nächste Bucht: eine karibische hat uns Thomas versprochen. Und recht behalten! Das Wasser ist türkis, die Fische kommen ganz nah heran, das Leben ist traumhaft! Aus irgendeinem Grund legen alle anderen Schiffe kurz nach unserer Ankunft ab (dabei haben wir doch schon vor dem Ansteuern der Bucht aufgehört, wie ein Rudel seekranker Wölfe La Paloma Ohé und Ein Schiff wird kommen zu singen). Das freut uns – denn für uns allein ist die Bucht noch schöner und wird von einem Erkundungstrupp bestehend aus Thomas, Uschi, Alfons und mir auch ausgiebig per Dingi und zu Fuß erkundet. Mit dem Ergebnis, dass es echt nix zu sehen gibt. Also: zurück an Bord in ausgelassener Stimmung (nur Thomas vergeht der Spaß etwas, als der miese Anlasser des Außenbordmotors mal wieder zurückschlägt und ihm fast die Finger bricht). Wir kochen etwas Köstliches (was genau, weiß ich nicht mehr – nur, dass es mittags Brotsalat gab. Denn es gab JEDEN MITTAG Brotsalat) und bestaunen später einen eins-a-Sonnenuntergang (kurz flackert Gesang im Cockpit auf, der stark nach Die rote Sonne von Capri klingt – aber es schadet der Stimmung nicht).
Am nächsten Tag könne wir endlich wieder segeln! Wir genießen den Wind und wollen nirgends anlegen – bis es zu spät ist. ALLE anderen Segler haben sich anscheinend schon zur Mittagszeit in die Buchten rund um Ilovik geflüchtet, denn für die Nacht ist Gewitter gemeldet. Wir versuchen unser Glück in einer Bucht, dann in Ilovik – alles voll. Es ist 19 Uhr und langsam wäre ein Platz für die Nacht doch nett. Wir finden ihn auf der anderen Seite Iloviks, werfen Anker (er hält unglaublicherweise mal wieder direkt beim ersten Versuch) und wettern dort die Nacht und das Gewitter ab. Es schwankt ganz schön bei Böen von Windstärke sieben. Aber morgens sind wir immer noch da, wo wir abends den Anker geworfen haben. Also ein Erfolg! Es ist ein bisschen kühler geworden, aber das Meer wieder ruhig. Ein leichter Wind kommt auf und wir glauben, nach Silba zum Einkaufen segeln zu können. Fünf Minuten später krängt das Schiff mächtig, ein Sturzbach gurgelt über die Reling und schwappt mir, die ich an der Backbordwinsch stehe, über die Füße. Irgendwie hat sich die Badewannen-Adria gerade in ein raueres Meer verwandelt. Die Segelnovizen der Crew ziehen sicherheitshalber Schwimmwesten an, wir holen die Segel ein und motoren gegen den Wind und beim höchsten Wellengang auf diesem Törn statt nach Silba in den windgeschützteren Hafen von Olib. Ohne große Begeisterung erst, denn im Hafenhandbuch steht etwas von „hässlichen Industriegebäuden“ und „verfallenen Häusern“. Doch das ist nur die Tarnung dieser kleinen verzauberten Insel, die wir am nächsten Tag am liebsten gar nicht mehr verlassen würden. Aber vorher müssen wir erstmal ankommen – und zwar längsseits. Natürlich hatten wir etwas anderes geplant. Und vorbereitet. Es wird hektisch. Die Fender müssen auf die Backbordseite geschafft werden und zwar hurtig, Alfons und Gerd versuchen, das Schiff mit schierer Muskelkraft vom Anleger wegzuhalten, auf den uns der Wind drückt. Der Marinero bleibt dennoch gelassen, Thomas auch halbwegs und am Ende liegen wir fest. Nur um uns Sekunden später vor Schreck fast am Manöverbier zu verschlucken, als sich direkt gegenüber, nur durch den 2 Meter breiten Anleger von uns entfernt, scheinbar eine motorisierte Stahlwand aus dem Meer schiebt. Es ist die täglich anlegende Autofähre und wir beobachten erst bewundernd, wie deren Crew anlegt – und dann amüsiert, wie sie vergeblich versucht, beim Ablegen eine der Leinen durch Werfen wieder an Bord zu holen. Auch Profis kochen eben nur mit Wasser! Jetzt sind wir in Stimmung, das Land zu erobern. Uns erwartet ein aus der Zeit gefallener Ort, mit einem Café, in dem Miry als die erste asiatisch aussehende Person seit 8 Jahren begrüßt wird, Golfbuggies statt Autos fahren und wir ein 92-jähriges Inseloriginal namens Toni treffen, der sich zu uns unter den großen, schattenspendenden Baum auf dem Dorfplatz setzt und aus seinem bewegten Leben erzählt. Er gibt uns auch einen Tipp fürs Abendessen (das Restaurant Amfora, in dem er selbst den restlichen Nachmittag Karten spielt) und verabschiedet uns herzlich, als wir zum Auffüllen unsers Kühlschranks den Mini-Markt betreten. Schade, dass wir in zwei Tagen zurück in der Marina Funtana sein müssen. Irgendwie wäre wohl jeder der Crew gern noch einen Tag geblieben. Oder zwei, oder drei …
Doch es geht zurück, muss zurückgehen. Wenigstens können wir wieder segeln. Endlich haben wir den Bogen wieder raus und das kreuzen klappt immer besser. Am Nachmittag müssen wir das Segeln aber schweren Herzens abbrechen – sonst würden wir nicht um 20.30 Uhr in der nächsten Bucht ankommen, sondern mitten in der Nacht. Vielleicht beim nächsten Mal … so eine Nachtfahrt fehlt uns allen ja noch. Aber sonst hat dieser Törn wirklich alles zu bieten: Buchten, Häfen, Anker, Bojen, Segeln und Motoren, Action und Erholung und dazwischen jede Menge Gelächter bei den Erzählrunden an Deck, dem gemeinsamen Dodelido-Spielen, beim La-Paloma-Grölen und quietschend ins kalt-doch-nicht-so-kalte-Wasser-springen. Nicht einmal, als eines Morgens beim Abspülen am Heck die Frenchpress in der Bucht versinkt, geht die gute Laune wirklich flöten. Zumal fast alle wichtigen Teile durch beherzte Tauchgänge wieder ans Tageslicht geholt und das nicht mehr auffindbare Sieb durch ein Stück aus Uschis Strumpfhose ersetzt werden kann. Ich schaue entspannt zu – und trinke meinen Tee! 🙂
Viel zu schnell ist die Woche vorbei, tanken wir in Vrsar (erstaunlicherweise ohne größere Schäden an Steg, Schiff oder Thomas’ Nerven zu hinterlassen) und legen wieder in der Marina Funtana an. Knapp eine Woche ist das jetzt her und immer noch schaukelt die Welt an Land sacht um mich herum. Ich glaube, das will mir etwa sagen: Ich will wieder zurück mit dieser Crew an Bord der Tortola!
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